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Philidor! Welch schöner, geheimnisvoll klingender Name! Vor 200 Jahren in aller Munde, heute kennen ihn nur noch wenige. Dabei steht er für die einzigartige Verbindung zweier auf den ersten Blick so unterschiedlich scheinender Bereiche: Schach und Musik.

Philidor - Wunderkind, Schachgenie, Opernkomponist, Buchautor, Blindspieler, Freund Diderots. Es besteht kein Zweifel: hier mußte es sich um eine außergewöhnliche und vielschichtige Persönlichkeit handeln. Doch Philidor gab nur wenig von sich preis. Die Mode seines überaus schreibfreudigen Zeitalters, Memoiren, Bekenntnisse oder Streitschriften zu verfassen, hat nicht auf ihn abgefärbt. Lediglich Briefe aus den letzten 13 Lebensjahren geben einen Einblick in Philidors Gedanken- und Gefühlswelt. Deshalb stütze ich mich weitgehend auf die Lebensbeschreibungen und verstreuten Berichte von Weggefährten und Zeitgenossen. Dort, wo die Quellen gänzlich versagen, eröffnet sich Raum für Spekulationen.

So begann eine Entdeckungsreise in das 18. Jahrhundert. Voller Überraschungen, immer auf der Suche nach Menschen, denen Philidor begegnet war, nach Orten, die er besucht hatte, nach Denkströmungen, die auf ihn eingewirkt haben könnten. Die historische Epoche der europäischen Aufklärung erfüllte sich immer mehr mit Leben, große Namen der Geistesgeschichte wiesen plötzlich eine Beziehung zu Philidor auf. Dessen Schaffen im Spannungsfeld zwischen Schach und Musik bildete den zentralen Blickwinkel. Gelang es ihm trotz oder gerade durch das häufige Hin und Her zwischen beiden Begabungen so produktiv zu sein? Durch geschicktes Lavieren und mit unternehmerischem Gespür organisierte er sein Leben als Wechselspiel beider Metiers - bis zum Ausbruch der Französischen Revolution, die seinen Lebensplan auf tragische Weise durchkreuzte.

Was Philidor unsterblich macht, ist vor allem die große Verehrung, die er unter Schachspielern genießt. Der dänische Großmeister Bent Larsen, über zwei Jahrzehnte einer der führenden Spieler der westlichen Hemisphäre, schrieb mir im März 2001:

Philidor ist der größte Schachspieler aller Zeiten. Er war mit seiner Schachauffassung seiner Zeit 70 Jahre voraus. Später hat niemand einen Vorsprung von mehr als 15 Jahren gehabt.

Vergleichbare Aussagen über den Musiker Philidor sucht man vergeblich. In der Musikwelt geriet er trotz zahlreicher Opernkompositionen nahezu in Vergessenheit, obwohl er für die Herausbildung der komischen Oper Bahnbrechendes geleistet hat. Sein Erfolg als Schachspieler überstrahlte auch schon zu Lebzeiten den des Musikers - eine Dissonanz, die Philidor schmerzlich spürte. Siege sind im Schach nun mal eindeutiger zu erringen als in der Kunst. Doch vielleicht ist ja auch das Schachspielen eine Kunst? Und worin besteht die viel beschworene Verwandtschaft von Schach und Musik? Fragen, auf die man bei Philidor nach Antworten sucht.

Begeben wir uns auf Philidors Spuren in eine untergegangene Welt der Schachcafés, Salons und Opernpremieren, aber auch des rationalen Denkens und der Wissenschaft. In ein Zeitalter, in dem die Frage "Was ist der Mensch?" eindringlicher als jemals wieder danach gestellt wurde.
Susanna Poldauf, Berlin im September 2001